Beim Durchstöbern der über 4.000 Jugendherbergen weltweit trifft man auf viel Bemerkenswertes: Hütten im Regenwald, umfunktionierte Zugwagons und mittelalterliche Burgen. Die Jugendherberge Ottawas ist jedoch trotzdem etwas ganz Besonderes: Gäste übernachten in der kanadischen Hauptstadt in äußerst spartanisch eingerichteten, umfunktionierten Zellen des alten Gefängnisses. Komfort und Fenster gibt es hier nicht, dafür aber Schnarchlaute und Schlafmangel. Klingt nicht so toll? War es aber!
Man muss nicht weit in der Zeitgeschichte Ottawas buddeln, bevor man auf das berüchtigte Carleton County Gaol (so der offizielle Name des Gefängnisses) stößt. Von 1862 bis 1972 geöffnet, gehörte der Stadtknast zu den gefürchtetsten des Landes. Neben Kleinkriminellen wurden im Hochsicherheitstrakt auch zahlreiche Mörder untergebracht. Das Leben vereinzelter Inhaftierter endete am hauseigenen Galgen, viele weitere starben durch zweifelhafte Unfälle und infektiöse Krankheiten.
1972 wurde die Strafvollzugsanstalt aufgrund ihres schlechten Rufes sowie überholter Rahmenverhältnisse geschlossen und nur ein Jahr später als Jugendherberge neueröffnet. Obschon das Gebäude selbstverständlich gründlich gereinigt und saniert wurde, blieben der Charakter sowie das authentische Knastfeeling erhalten. Hierfür sorgten auch die zahlreichen ehemaligen Häftlinge, die bei den Umfunktionierungsarbeiten mithalfen.
Jede Zellentür ist mit einer Plakette versehen, die an einen ehemaligen Inhaftierten sowie die begangene Straftat erinnert. Täglich findet zudem eine kostenlose – und wärmstens zu empfehlende – Führung durch den Gebäudekomplex statt. Sogar der 1949 zuletzt benutzte Originalgalgen ist noch intakt.
Auf den ersten Blick wirkt die Umfunktionierung des Gebäudes ein wenig trübsinnig und makaber, doch eigentlich sollten wir uns darüber freuen, dass ein solch negativ behafteter Ort heute als Treffpunkt und Austauschort für junge Menschen aus der ganzen Welt fungiert. Zusätzlich zur pädagogischen Erfahrung lockt die Jugendherberge mit einer hervorragenden, zentralen Lage zur weiteren Erkundung der Hauptstadt.
Zugegeben, Ottawa liegt nicht gerade um die Ecke unserer üblichen Leserschaft, doch wen es irgendwann mal in die Ecke verschlägt, sollte sich einen Besuch in der Hauptstadt nicht entgehen lassen. Mit ihrem beeindruckenden, neugotischen Parlament und seinen unzähligen Museen ist Ottawa ein kulturelles Highlight für jede Kanadareise. Wer zusätzlich für eine Nacht oder mehr auf Komfort verzichten kann, dem raten wir: Ohrstöpsel einpacken und ab ins Gefängnis!
Weitere Informationen: HI Ottawa Jail / Kanadische Jugendherbergen
Der Flur an den Zellen vorbei
Einzelzimmer der einfachsten Art
An Hellhörigkeit nicht zu überbieten: die Zellen sind oben und bis zur Kniehöhe geöffnet.
Die original Fanggitter im Treppenhaus dienten zu Knastzeiten der (Selbst)Mordprävention
Die Frühere Kantine ist jetzt der Frühstückssaal
Der Originalgalgen im Todestrakt
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